Jäger auf der Psychoschaukel

by Wild beim Wild, 24. September 2016 ,  https://wildbeimwild.com/2016/09/24/jaeger-auf-der-psychoschaukel/
 

Dissertation „Psychologisch-Soziologische Unterschiede zwischen Hobbyjägern und Nichtjägern“.

Primär bestätigte sich die Hypothese, dass Hobbyjäger sich selbst eindeutig aggressiver beurteilen als Nichtjäger.

Es ist daher anzunehmen, dass Hobbyjäger mit den geschmälerten Möglichkeiten der Lebensentfaltung unserer Zeit nur schwer zu Rande kommen und die auftretenden Spannungen und Aggressionen mit derart drastischen Methoden zu sublimieren versuchen. Laut Fromm (1971) steht die Summe der zerstörerischen Tendenzen im direkten Verhältnis zur Einschränkung der Möglichkeit expansiven Verhaltens. Durch diese überspannten Sublimierungsforderungen der Gesellschaft schon vom Kindesalter an ist es vielen Menschen nicht möglich, ihre triebhaften Aggressionen in ziel- und sachgerechte Aktivitäten umzuwandeln.

Vom behavioristischen Standpunkt aus, ist es wahrscheinlich, dass Hobbyjäger die Jagd – und damit aggressive Verhaltensweisen im Laufe ihrer Sozialisation positiv erleben. Durch die Freude über den Abschuss und die Anerkennung und Achtung durch andere Gleichgesinnte wird das aggressive Verhalten als lustbetont erlebt.

Dieses Erlebnis wirkt sich als positiver Verstärker beim Lernen aggressiver Verhaltensweisen aus. Weiters ist zu bedenken, dass der persönliche Bereich eines Hobbyjägers dekoriert ist mit Sinnbildern der Überwältigung und des Todes und dass sich selbstverständlich Waffen im Besitz der Familie befinden.

Es wurde in kontrollierten experimentellen Situationen einwandfrei bewiesen, dass aggressives Verhalten durch soziale Übermittlung durch Vorbilder gelernt wird.

Auch beim Durchlaufen der Ausbildung können vermehrt Aggressionen entstehen. Der Ausbildende lehrt als Modell aggressive Verhaltensweisen, die ohne vitalen Bedürfniszwang sozusagen als „Erholung“ gelernt werden.

Diese Annahme wird dadurch noch gestützt, dass 43,4 % der Hobbyjäger angeben, aus traditionellen Gründen die Jagd auszuüben und 56,12 % diesen Grund zumindest als wichtiges Argument dafür sehen.

Ein weiterer hoch signifikanter Unterschied zwischen Hobbyjägern und Nichtjägern ergab sich hinsichtlich der externalen und internalen Erwartungen. Hobbyjäger geben hoch signifikant häufiger als Nichtjäger an, die Ereignisse, die auf sie zutreffen, von sich selbst abhängig zu machen als Nichtjäger.

Dies ließ die Annahme zu, dass Hobbyjäger durch ihre internalen Erwartungen auch eher motiviert sind, selbst in das Naturgeschehen einzugreifen. Dies mag der Grund dafür sein, dass diese Versuchspersonen selbst das Gleichgewicht im Wildbestand regulieren wollen.

Weiters ergab sich, daß Hobbjäger dazu tendieren im persönlichen Bereich zufriedener zu sein, als Nichtjäger (p = 0,0421). Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die jagdliche Tätigkeit durch ihre Rituale und traditionellen Abläufe eine völlige „Andersartigkeit“ bietet und dadurch die Flucht aus der Zivilisation erleichtert. Außerdem bietet das Gefühl, gewisse Fertigkeiten zu beherrschen, wie sie zur Jagd notwendig sind, Befriedigung und Entspannung. Dieses Gefühl der Freude an der eigenen Geschicklichkeit ist für FROMM (1974) eine der Hauptmotivationen des Jägers.

Auf ein Ergebnis möchte ich hier noch eingehen, weil es der Argumentation der Hobbyjäger und den allgemeinen Erwartungen widerspricht. Hobbyjäger und Nichtjäger unterscheiden sich nicht in ihrer Naturverbundenheit.

Dies mag daran liegen, dass in dieser Variable zu einem grossen Teil das Verhalten in der Natur ausserhalb der jagdlichen Tätigkeit erfasst wurde. Es ist aber anzunehmen, dass Hobbyjäger durch die jagdliche Tätigkeit ihre Bedürfnisse, in der Natur zu sein und diese zu schützen, befriedigt sehen und ihre Freizeit ausgeschöpft ist.

Zusammenfassend lassen diese Betrachtungen die Annahme zu, dass die hohe Tendenz zu aggressiven Verhaltensweisen das Motiv für die Ausübung der Jagd ist, und das Hobbyjäger durch ihre internale Attributisierung verstärkt glauben, in das Naturgeschehen eingreifen zu können und dieses manipulieren wollen.

6.2. Charakterisierungsversuche der Hobbyjäger

Die Beliebtheit der Jagd steigt ausschließlich mit der Jagdleidenschaft hoch signifikant, während das Interesse an der Hege und die Freude an der Natur als Gründe für die Jagdausübung in keinem Zusammenhang mit der Beliebtheit der Jagd stehen. Weiters zeigte sich, dass die Jagdleidenschaft hoch signifikant mit der steigenden Tendenz zur Darstellung im Sinne der Sozialen Erwünschtheit sinkt. Diese Tendenz, die Bedeutung der Jagdleidenschaft zu verfälschen, lässt sich aus dem hoch signifikanten Zusammenhang zwischen der Jagdleidenschaft und der Beurteilung der eigenen Aggressivität verstehen. Mit steigender Aggressivität steigt die Jagdleidenschaft an.

Im Zusammenhang mit dem Ergebnis das besagt, dass Hobbyjäger sich aggressiver beurteilen als Nichtjäger, dass mit steigender Aggressivität auch die Jagdleidenschaft steigt und dass die Beliebtheit der Jagd nur von der steigenden Jagdleidenschaft abhängt, lässt sich die Aussage formulieren, dass die Jagdleidenschaft als Manifestation aggressiver Verhaltenstendenzen das Motiv für die Ausübung der Jagd ist, und mit ihr die Beliebtheit der Jagd steigt.

Die Annahme, dass die Jagdleidenschaft eine Manifestation aggressiver Verhaltensweisen ist, wird bestätigt. Daraus geht hervor, dass mit steigender Aggressivität und steigender Jagdleidenschaft die Anzahl der in den letzten drei Jahren geschossenen Tiere sowie die Bereitschaft dem Wild unter Umständen starke Schmerzen zuzufügen, ansteigen. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass 44,15 % aller Hobbyjäger angeben, unter Umständen bereit zu sein, Wildtieren starke Schmerzen zuzufügen und dass 32,8 % aller Hobbyjäger angeben in den letzten drei Jahren mehr als 20 Tiere geschossen zu haben.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass bei Hobbyjäqern ein hoch signifikanter Zusammenhang zwischen der Tendenz zur Darstellung im Sinne der Sozialen Erwünschtheit und dem Zugeben der Bereitschaft, unter Umständen dem Wild starke Schmerzen zuzufügen, besteht. Mit steigender Tendenz zur Darstellung im Sinne der Sozialen Erwünschtheit sinkt hoch signifikant die Häufigkeit der Bereitschaft, Tieren starke Schmerzen zuzufügen. Es ist daher anzunehmen, dass die Häufigkeit der Bereitschaft, dem Wild starke Schmerzen zuzufügen, höher gewesen wäre, wenn die Frage wahrheitsgetreu beantwortet worden wäre.

Weiters steigt mit der Bereitschaft, dem Wild unter Umständen starke Schmerzen zuzufügen auch die Anzahl der geschossenen Tiere hoch signifikant an.

Diese Ergebnisse zeigen, dass mit steigender Aggressivität und damit steigender Jagdleidenschaft die Bereitschaft, dem Wild u. U. starke Schmerzen zuzufügen sowie die Anzahl der in den letzten drei Jahren geschossenen Tiere steigen.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass unter den Hobbyjägern eine Tendenz dahingehend besteht, mit steigender Jagdleidenschaft sowie mit sinkender Naturverbundenheit vermehrt Gams- oder Hirschbärte zu tragen.

Allgemein soll hier dazu erwähnt werden, dass es innerhalb der Gruppe durch das Tragen eigener „Berufskleidung“, das Unterhalten in einer eigenen Sprache sowie die rituellen Abläufe und veschiedenen Zeichen, das Demonstrieren der Zugehörigkeit zu einem eigenen Stand ausdrückt. Diese Zeichen und die eigene Sprache sind insbesondere beim Jägerstand augenscheinlich. Innerhalb dieses Standes ist es möglich, aggressive Verhaltensweisen zu zeigen und aufgrund des gemeinsamen Konsensus innerhalb der Gruppe die kognitive Komponente der Einstellung den Handlungen anzupassen. Weiters werden durch das Ansehen dieses Standes, das aus dem hohen Prestige vieler Hobbyjäger resultiert, die postulierten Motive für die Ausübung der Jagd, nämlich das Interesse an der Hege sowie die Freude an der Natur, für die Bevölkerung glaubhaft.

Es zeigte sich, dass mit steigender Jagdleidenschaft und sinkender Naturverbundenheit die Zeichen und Symbole, die die Zugehörigkeit zum Jägerstand demonstrieren vermehrt getragen werden.

Es ist zu erwähnen, dass 93 % der Hobbyjäger angeben, Trophäen zu Hause hängen zu haben. Aus der Literatur über die Jagd geht die bedeutende Rolle von Trophäen im heutigen Jagdwesen hervor. Um dies eventuell zu erklären, werden folgende Betrachtungen dargestellt.

Trophäen sind Waffen des Wildes im Kampf gegen Nebenbuhler, bei einigen Wildarten auch gegen Raubwild und den Jäger. Das ursprünglich griechische Wort bedeutet „Siegeszeichen“. Bei einigen südamerikanischen Indianerstämmen ist es das Haupt des Feindes, das als „Schrumpfkopf“ aufbewahrt wird. Auch Raubwild trennt häufig den Kopf des gerissenen Beutetieres zuerst ab.

Sie sind Sinnbild der Wehrhaftigkeit und Überlegenheit des Jägers über das Erlegte. Das Haupt des Wildes, vor allem dessen Zähne, Hörner und das Geweih sind als Zeichen des Sieges für den Jäger besonders interessant.

Innerhalb der Freizeitjagd bekamen die Trophäen sportlichen Charakter. In den 30-iger Jahren, mit dem Inkrafttreten des Reichsjagdgesetzes, nahm die Trophäenbewertung des europäischen Wildes konkrete Formen an. Insbesondere das Hirschgeweih wurde nach sehr diffizilen Punktesystemen bewertet. Die Trophäe wurde mehr wert als das Wild. Spezialfütterungen (Mästungen) sollen dem Hirsch zum Medaillengeweih verhelfen. Einzig und allein die Länge und der Umfang der Hörner entschied den Wert des Wildes und Erlegers. Damit wurde die Trophäe zum Objekt der Renommiersucht reduziert (Kalehreuter, 1979).

Aufgrund der Tatsache, dass auch weniger „wertvolle“ Trophäen zur Schau gestellt werden, drängt sich die Vermutung auf, dass auch andere Faktoren heute eine Rolle spielen.

Die oben genannte Darstellung von Wehrhaftigkeit und Überwältigung durch die Trophäen des erlegten Wildes könnte, trotz ihrer Nichtigkeit durch die hochdifferenzierte Waffentechnologie, nur noch rudimentär vorhanden, immer noch mitwirken.

Im Zusammenhang mit der großen Faszination, die die Waffen auf diese Personen ausüben, liegt eine sehr interessante Hypothese von Horst E. Richter in seinem Buch „Zur Psychologie des Friedens“ (1984) vor.

Er versteht die Faszination der Waffen als eine Sublimierung präpupertärer Omnipotenzwünsche und als Ausdruck von ästhetisch verklärten phallischen Grössenphantasien. Das Gefühl, dass man eine Waffe in der Hand hat, die, dem kleinsten Befehl gehorchend, mit minimalem Aufwand grosse Resultate zu erzielen vermag, kann offensichtlich als ersatzweise Erfüllung alter phallischer Grössenträume erlebt werden. Es scheint eine rauschhafte Beglückung zu sein, die alle je erlebten phallischen Kränkungen aus der Kindheit momentan tilgt.

Typisch ist die in Militärkreisen vertretene Aussage: „Der Soldat wird in gewissem Sinne auch ästhetisch erregt, wenn ihm das Fahrzeug oder die Waffe gehorcht, wenn er mit kleinstem Zeit-und Kraftaufwand hohe Ergebnisse erzielt.“ (Aus: Malowiow/Safronow; die marxistisch-leninistische Ethik und die Erziehung der Soldaten).

Es herrscht längst Einigkeit darüber, dass technische Prothesen für die Überwindung phallischer Minderwertigkeitsgefühle geeignet sind. Eben diesem Zweck dient nach dieser psychoanalytischen Vorstellung der Waffenkult. Es beginnt beim spielerischen und panthomimischen Darstellen und Benutzen von Waffen bei kleinen Kindern und eskaliert in Krimi- und Westernfilmen, in denen Colt und Winchester erst recht Symbol von Männlichkeit und Manneskraft werden.

„Diese mit sehr deutlichen sexuellen Akzenten versehene ästhetische Verklärung von Waffen ist natürlich deshalb gefährlich, weil sie sich auf tatsächlich vorhandene unbewußte Mechanismen stützt, welche die Verdrängung fördern können, dass es eigentlich nur um Mord und Zerstörung geht.“ (Richter; a.a.O. 5 143).

Ursula Grohs (* 5. Juli 1958 in Graz) ist eine österreichische Gesundheits- und Kinderpsychologin, die im Jahr 2003 das Psychodynamische Modelltraining (kurz: PDM) entwickelte.

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