Antinatalismus kompakt

A.    Allgemeine Grundsätze für menschliches und tierliches Leben

I.    Definition
 
Der Antinatalismus (Wortbildung nach lat. nasci: geboren werden) ist eine Moraltheorie, die tiefer ansetzt als alle herkömmliche Ethik. Alle bisherige Ethik geht von der Prämisse aus, dass Menschen und Tiere existieren (sollen) und sie fragt, wie die existierenden Menschen handeln sollen.
 
Der Antinatalismus ist eine Antwort auf die grundlegendere Frage, ob Menschen und Tiere sein sollen.
 
II.    Goldene Regel
 
Ethisch handelt eine Person, wenn sie erst dann agiert, nachdem sie die Konsequenzen ihres Tuns für alle aktuell und künftig betroffenen Menschen und Tiere durchdacht hat. Die Richtschnur für ethisches Handeln ist die Goldene Regel: „Behandele andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“
 
III.    Leidensstruktur des Lebens allgemein

Jedes Lebewesen trachtet nach Unversehrtheit und Leidvermeidung. Höhere Lebewesen und Menschen haben zudem einen Drang nach Freiheit und streben insgesamt  nach Zufriedenheit und Glück. Trotzdem erfährt jede Kreatur immer wieder ebenso vielfältiges wie unvermeidbares Leid in Abhängigkeit von seinen Existenzbedingungen und Lebenskomponenten.
Das Ziel der Leidensfreiheit wird aber grundsätzlich immer verfehlt, da jede individuelle Existenz früher oder später in der Katastrophe des Todes endet. Man kann alles leugnen, nur Schmerz, Angst und Qual kann man nicht leugnen. Sie sind das brutale Fundament des Lebens.
 
IV.    Folgerung
 
Da es unethisch ist zu wollen und es zu bewirken, dass ein Wesen leidet, ist es unethisch so zu handeln, dass ein Lebewesen zu existieren beginnt.
Kategorische Maxime: Du sollst nicht zeugen.
Da jedes Lebewesen während seiner Lebenszeit in unterschiedlichster Form nichtkompensierbares Leid erfährt, ist der Verzicht auf Fortpflanzung eine ethisch äußerst verdienstvolle Unterlassung und die höchste Form der Nächstenliebe.

V.    Grundsatz

Das Sein hat keinen Vorrang vor dem Nichts, denn das Nichtsein kann niemals schlechter als eine Existenz sein. Nur Nichtexistenz und unbelebte Materie, das Mineralische, das Kristalline, sind leidensfrei.
 
 
B.    Konsequenzen innerhalb der Menschenwelt

Wahlfreiheit
 
Tiere pflanzen sich auch dann fort, wenn den eigenen Jungen ein Leben aus Langeweile, Enge, Schmerzen und einer grausamen Schlachtung bevorsteht. Im Unterschied zu Tieren haben die meisten Menschen die Wahlfreiheit, sich fortzupflanzen oder nicht. Viele Menschen glauben oder hoffen dabei, dass den eigenen Kindern ein besseres Leben bevorsteht: Meine Kinder sollen es einmal besser oder zumindest genauso gut haben wie ich. Anders als Tiere können Menschen einmal getroffene Entscheidungen revidieren. Folgende Gründe sprechen dafür, eine Entscheidung für eigene Kinder zu widerrufen:
 
Schmerz-Freude-Kompensation
 
Es ist richtig, dass kleines Leid durch kleine oder größere Freuden kompensiert werden kann. Wer schwer gearbeitet hat, entschädigt sich durch Konsum. Aber keine noch so große Freude kann für schwerstes Leid entschädigen. Wer beispielsweise Krebsschmerzen aushalten muss oder wer trauert, dem ist nicht durch die Ankündigung eines langen Urlaubs geholfen. Wer Nachkommen zeugt, bedenkt nicht, dass dieser Mensch größten Schmerz erfahren könnte, für den es keine Entschädigung geben kann.
 
Nächstentod-Erfahrungen
 
Wer neues Leben in die Welt setzt, nimmt in Kauf, dass ein weiterer Mensch Krankheiten und Sterben zahlreicher geliebter Freunde, Familienmitgliedern und  Haustieren miterleben muss; insbesondere den Tod der eigenen Eltern, von Geschwistern oder Ehepartnern. Wer Kinder hat, mutet ihnen und den Enkeln zu, das Sterben der eigenen Eltern mitzuerleben.
 
Komplizenschaft
 
In der zurückliegenden Geschichte und bis in die Gegenwart ist der Mensch immer wieder der schlimmste Feind des Menschen gewesen. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert mit den größten Völkermorden. Wer sich in Anbetracht der bisherigen Geschichte für die Hervorbringung neuer Menschen ausspricht, macht sich – ohne böse Absicht – zum Komplizen dieser Geschichte und gibt zu verstehen: Es war ausreichend gut, dass ich einen neuen Menschen Vergleichbarem aussetzen kann.
 
Alter
 
Fast wöchentlich erscheinen Berichte über unzumutbare Zustände in Altersheimen, Pflegestationen oder Krankenhäusern. Wer so handelt, dass ein neuer Mensch zu existieren beginnt, mutet ihm unter Umständen zu, als schwerkranker alter Mensch alleingelassen in einem Altersheim oder Krankenhaus zugrunde zu gehen.
 
Sterbensverursachung
 
Der Erzeuger neuen Lebens ist dafür verantwortlich, dass ein weiterer Mensch sterben muss: das eigene Kind. Im Widerspruch dazu wird überall die Ansicht vertreten, dass man – außer in Notwehr – niemals so handeln darf, dass ein Mensch sterben muss.
 
Sterbenskatastrophe
 
Manche Menschen schlafen ein und wachen nicht wieder auf. Für die meisten sieht es anders aus. Sie erleben eine Sterbenszeit voller Reue, Panik oder Schmerzen, die sich über Wochen oder Monate erstrecken kann. Wer sich für Kinder entscheidet, mutet ihnen diese Qualen zu.
 
Zukunft
 
Vieles deutet darauf hin, dass der relative Wohlstand, den die industrielle Revolution einem Teil der Weltbevölkerung beschert hat, zu einer irreversiblen Schädigung des Klimas sowie des Trinkwassers und der Ackerböden geführt hat. Aufs Ganze gesehen hat die Menschheit moralisch und ökologisch Schiffbruch erlitten. Die Tragfähigkeit der Erde ist begrenzt und bereits heute deutlich überschritten. Eine weiterhin ungebremste Bevölkerungsexplosion führt ins globale Chaos, in Hungersnöte und Verteilungskriege.
Wer in Anbetracht dieses Schiffbruchs Nachkommen in die Welt setzt, lädt Elternschuld auf sich.
 
Elternschuld

Wir leben im Informationszeitalter und wissen, was eigenen Kindern mit großer Wahrscheinlichkeit bevorsteht bzw. bevorstehen kann. Der Gedanke an ein elendes Ende der eigenen Kinder, für dessen Verursachung man sich schämen müsste, wird verdrängt.

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