Wehrt euch, Konsumenten!

©  DIE ZEIT, 22.02.2007 Nr. 09

Wolfram Siebeck unterstützt Stephen Hawkings neuerlichen Aufruf, endlich gegen die Zerstörung der Erde aufzubegehren
Naturwissenschaftler und andere kluge Männer haben in Chicago die berühmte Uhr des Jüngsten Gerichts von sieben auf fünf Minuten vor zwölf korrigiert. Der renommierte Astrophysiker Stephen Hawking war daran beteiligt und deutete die dramatische Geste als erneute Warnung vor Atomwaffen und dem Klimawandel.

Es sind vertraute Wörter, mit denen das Ende unseres Planeten beschrieben wird, seit der Club of Rome vor über dreißig Jahren begonnen hat, uns darauf hinzuweisen, dass wir dabei seien, unsere Erde zu zerstören. So vertraut sind uns die Warnungen geworden, dass ihre Wirkung nachgelassen hat. Waldsterben? Klar, kennen wir! Vernichtung der Regenwälder? Aber ja doch, muss verhindert werden! So wie es auch unverantwortlich ist, die Meere leer zu fischen. Und der CO2-Ausstoß in China ist skandalös. Die sollten endlich gezwungen werden, unsere Rußpartikelfilter zu kaufen.
Und so weiter. Es ist zum Gähnen. Leben wir nicht trotz allem immer länger? Und sogar angenehmer? Wenn in den Alpen der Schnee knapp wird, fliegen wir eben nach Colorado. Oder snowboarden in den Anden. Das Gefummel an der Uhr in Chicago ist nicht nötig, Professor Hawking!
Wir wissen Bescheid – und kümmern uns nicht darum.
Da wird der Mann im Rollstuhl richtig zornig. Es ist fünf vor zwölf, lässt er uns wissen, daran sollen wir denken, und deshalb müssen wir handeln! Immer wieder aufs Neue. Denen, die da profitsüchtig unser aller Leben gefährden, müssen wir die Zähne zeigen! Niemand darf die Erde verwüsten, weil ihm die Börsenkurse wichtiger sind als die Gesundheit seiner Arbeiter. Keinem dürfen wir es durchgehen lassen, wenn er Rettungsmaßnahmen für unseren Planeten als nicht realisierbar bezeichnet. Wer Interessen vertritt, die sich gegen unsere Umwelt richten, wird bei der ersten Gelegenheit abgewählt! Lobbyisten der Großindustrien müssen in die Schranken gewiesen werden, wenn es schon nicht möglich ist, sie einzusperren.
Wer die Geschäfte der Waffenindustrie betreibt, die Chemiekonzerne unterstützt und jeden subventioniert, der den Boden, auf dem wir leben, täglich ein wenig mehr vergiftet – diesen Herrschaften in ihren gepanzerten Limousinen muss die Linie gezeigt werden, hinter der für uns die Notwehr beginnt.
Wir haben eine Macht, die sie fürchten. Es ist die Macht der Konsumenten. Auf dem Zifferblatt der Uhr des Jüngsten Gerichts stellen wir den Sekundenzeiger dar. Klein und scheinbar unbedeutend. Doch wir sind mit dem Uhrwerk verbunden wie eine Zündschnur mit dem Pulverfass.
Ich bin nicht sicher, ob wir den Weltuntergang verhindern können, wenn wir die Lunte zünden. Aber wenn sie uns schon plattmachen, so wird mir der Anblick ihrer Kursverluste das Ende versüßen. Deshalb lasst uns ihre Produkte boykottieren! Weigern wir uns einfach, den Schund zu kaufen, den sie billig auf den Markt werfen!
Lebensmittel aus der Massenproduktion sind von Übel, das haben wir doch inzwischen gelernt! Ein Übel, das nicht nur unsere Gesundheit gefährdet, sondern auch den Masttieren übel mitspielt.
Wer billige Schweinkoteletts kauft, fördert die Tierquälerei
Man muss es, sagt Professor Hawking, immer wieder sagen; immer wieder daran erinnern, was bei uns im Hinterhof geschieht, damit im Vorderhaus alles proper aussieht und wenig kostet. Die Schweinemast zum Beispiel, an der wir alle beteiligt sind, weil wir billige Schweinekoteletts lieben, ist die gewaltigste Tierquälerei der Neuzeit! Das Quieken der geschundenen Schweine müsste uns Tag und Nacht in den Ohren gellen, wenn wir nur hinhören würden. Vom dritten Tag ihres Lebens an, wenn die Jungeber ohne Narkose kastriert werden, bis zu ihrer Todesstunde, wenn sie gedopt und halb wahnsinnig vor Angst der elektrischen Zange entgegentaumeln, werden sie ohne Unterbrechung gefoltert. Sie dürfen nicht an die frische Luft, sie dürfen nicht rennen, nicht wühlen, nicht glücklich sein. Sie müssen Medikamente schlucken, deren Nebenwirkungen der fleischfressende Wohlstandsbürger zu spüren kriegt, wissen aber nicht, wie ein Apfel schmeckt. Den Hühnern in der Massenzucht geht es nicht besser. Wir schalten einen Naturfilm ein, wo wir verschieden buntem Geflügel beim Scharren zusehen, worauf es ein reinigendes Sandbad nimmt und seine Küken aufzieht. Der Anblick des dort friedlich vor sich hin gackernden Federviehs macht uns blind für die Tierwelt außerhalb der Fernsehberichte. Blind für die milliardenfache Käfighaltung, diesen schärfsten Grad der Hühnerfolter. Denn sie haben nicht nur den in kleinen Schritten größer werdenden Tierschutz gegen sich, sondern inzwischen auch die Verbraucher.
Wunderbarerweise haben die Konsumenten offenbar begriffen, was mit den Dingen geschieht, die wir zu unseren Lebensmitteln zählen. Nicht nur mit den lebenden – darunter auch den Kälbern, Rindern und Fischen aus Aquakulturen –, auch mit dem, was die Landwirtschaft aus dem von ihr verseuchten Boden holt, auch mit dem, was die großen Konzerne in Tüten füllen, in Dosen stopfen und tiefgefroren in Supermärkten ablegen, kurz, mit dem ganzen chemisch behandelten, genetisch manipulierten, überzuckerten, künstlich aromatisierten und dick machenden Zeug.
Jahrelange Aufklärung (nicht zuletzt in dieser Kolumne) hat die Verbraucher in zunehmendem Maße allergisch gemacht gegenüber einer angeblich verbraucherfreundlichen Gesetzgebung, die aber in Wirklichkeit nur ein Hätschelkind kennt: die Großagrarier und die mit ihnen verbundene Industrie. Folgerichtig ist die Nachfrage nach Bioprodukten weit größer, als es sich die Grünen vor 20 Jahren hätten träumen lassen.
Und schon kürzt der zuständige Minister die Subventionen für Biobauern, schon warnen die Massenproduzenten vor dem Import von billigen chinesischen Eiern (Hühnern, Enten, Haifischflossen). Auf die Idee, dass deutsche Eier wegen ihrer artgerechten Entstehung einen ebenso großen Wettbewerbsvorteil haben könnten wie deutsche Sonnenkollektoren, kommen die Herren nicht.
Ihren Gewinn wollen sie nicht ihrer Produktqualität verdanken, sondern billigen Massenprodukten. Denn das ist ihre Welt und sonst gar nichts… In welchem Maße die Konsumenten inzwischen aufgeklärt sind, beweist die große Zahl der Medienkommentare, Aufklärungsfilme und Sachbücher zu diesem Thema.
Als neueste Publikation ist bei Drömer eine Zusammenfassung der aktuellen Diskussion erschienen. Der Titel Unser kläglich Brot kündet keinen Brotbackkurs an, wie der naive Käufer vermuten könnte. Überhaupt enthält der Band keine Rezepte, sondern eher das Gegenteil.
Warum wir immer wieder die Falschen wählen
Die ausführliche Beschreibung einer Schweinemastanstalt kann einem schon den Appetit nehmen. Doch das Buch ist um Aufklärung bemüht, und die wird immer bei den skandalösen Zuständen landen, die in unserer Landwirtschaft herrschen.
Wobei man stets daran denken soll, dass sie alle von Menschen gemacht sind: die Verbände, in denen Agrarfunktionäre für das Wohlergehen der Großen ihrer Branche wirken, die Ministerien im Bund und in den Ländern, die dem Verbraucher Sand in die Augen streuen, damit er nicht erkennt, welchen Schweinereien er ausgeliefert ist, die Giftspritzen ohne Waffenschein, die Lizenzen zum Tierquälen, die Feigheit vor dem Kapital.
Das alles sind Bestandteile jener Macht, die man »die Wirtschaft« nennt. Sie sorgt dafür, dass wir immer die Falschen wählen und sie für die Richtigen halten.

Unser kläglich Brot
von Eva Goris; Droemer Verlag; 320 Seiten

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