Metzger, Jäger & Co.

Die gefährlichsten Momente der Weltgeschichte waren stets die Zeitabschnitte, in denen es einer Einzelperson oder strukturierten Gruppierungen gelang, sowohl die Machthaber als auch die Schlüsselfiguren des Volkes hinter einem gemeinsamen Gedanken, einer Idee, einer Ideologie, hinter einem gemeinsamen Weltbild, zu vereinigen.
Die Vereinigung konnte eine langsam wachsende sein oder, wie im Fall der Revolution, eine eruptive, eine plötzliche, eine Veränderung, das bisherige Gedankengut wegspülende Flut.
Waren die Hauptakteure des Staates auf das neue Denken eingeschworen und durch ökonomische Zuwendungen oder machtpolitische Vorteile fest für die Idee gewonnen, konnte die neue Sicht der Dinge der zumeist wirtschaftlich abhängigen Bevölkerung aufoktroyiert werden, gewaltsam oder schleichend. Beide Varianten sind durch zahlreiche Vorgänge in den letzten Jahrhunderten mehrfach belegt. Die Französische Revolution als gewaltsamer Umsturz, das Christentum als schleichender Änderungsprozess mögen als Erinnerung genügen.
Die schleichende Einführung neuer Denkweisen über mehrere Generationen minimiert einen potentiellen Rückfall in vergangene, überholte Denkmuster, da die jüngsten Generationen mit der neuen Wertauffassung aufwachsen und im Sinne dieser Gedankenwelt erzogen werden. Die Gefahr einer Konterrevolution bei plötzlicher Änderung der Sichtweisen sinkt – nach einer sehr kritischen ersten Phase – gleichfalls auch mit der zunehmenden Anzahl neuer Generationen nach Revolutionsbeginn.

Sobald die neue, akzeptierte Grundeinstellung sich in der Gedankenwelt der Bevölkerungsmehrheit stabilisiert und verankert hat, wird sie nicht mehr oder kaum noch hinterfragt, wird gelebt, wird als verbindlich und richtig anerkannt, sie ist zur neuen gesellschaftlichen Norm geworden, sie wurde vergesellschaftet.
Das ab diesem Wendepunkt gültige Weltbild ist das Gesetz der Herrschenden, des Staates, der Wirtschaft, der Medien, der sozialen Orientierung des Volkes, das herrschende Gesetz ist das Gesetz einer, der allgemein akzeptierten neuen Sinnesart.
 
Vorstehend skizzierter Ablauf wird aber in seiner Norm nachgerade irreversibel manifestiert, wird das politisch-gesellschaftliche Weltbild mit einem metaphysischen Überbau versehen, der das gesamte tägliche Leben mit seinen vielfältigen Handlungen, Entscheidungen und deren Folgen vor einem religiösen, gar göttlichen Hintergrund rechtfertigt.
Um die heutigen Gegebenheiten unserer westlichen Gedankenwelt in die modellhaft gegliederte Weltsicht und stützende metaphysische Rechtfertigung einzuordnen, sei der Gegenstand nachfolgender Ausführungen primär auf den europäischen Kulturkreis, auf die Rolle des Christentums als Hauptbestandteil westlicher Religionen, reduziert.
 
Der außerordentliche Grad der Denkfähigkeit des Menschen hat ihn in die Lage versetzt, sich von problematischen Lebensraumverhältnissen unabhängig zu machen, sie vielmehr selbst zu verändern und schließlich nahezu ganz zu ignorieren. Damit hat sich der Mensch als gleichsam höheres Wesen buchstäblich über die Natur hinweg gesetzt, sich von ihr und allen darin befindlichen Lebensformen separiert und zum mächtigsten Wesen der Erde entwickelt.
Als ein durch Gruppensozialität und Rangordnung grundstrukturiertes und damit geradezu zwangsläufig nach Höherem orientiertes Wesen sieht er sich als legitimen Gesprächspartner höchster Mächte, als Krone und Ziel der Schöpfung, wesensähnlicher seinen gedachten Gottheiten, als den ihm tatsächlich genetisch artverwandten, jedoch in der Rangordnung seiner Werteskala weit unter ihm eingestuften Tieren.
Dieses Überlegenheitsgefühl, dieses vermeintliche Wissen, dieses göttliche Recht ist ihm zwischenzeitlich im Bewusstsein verankert, wird von ihm nicht mehr hinterfragt – weder individuell noch kollektiv -, wird ihm in Schulen als fundamentale Gegebenheit gelehrt, vorgelebt durch staatliche Gesetzgebung und anerzogen durch überwiegend kritiklose Eltern.
Der andere Teil der Lebewesen unserer Erde, vor allem die Tiere nämlich, sind hingegen heute - unterstellt man die gewohnte Sicht des Massenmenschen auf diese Kreaturen - zu belebten Wesen degradiert, zu atmenden Produktionsfaktoren, an denen entweder archaische Instinkte, Perversionen und Grausamkeiten legal ausgelebt werden können, die dem menschlichen Vergnügen dienen - wie bei Jagd, Zirkus, Stierkampf etc.- oder die vorwiegend als nachwachsende Rohstoffe bzw. als Nahrungsmittel zu seinem Nutzen gehalten und vielfach geradezu großtechnisch produziert werden.
Ursache dieser abscheulichen, jeder Moral und Ethik entbehrenden Denkungsart, ist in erster Linie die unheilvolle Lehre der christlichen Kirche, den Mensch als Ebenbild Gottes zu definieren, ihn gleich hinter Gott einzuordnen, weit vor dem Rest der Natur und insbesondere weit vor der Pflanzen- und Tierwelt. Die Reihenfolge: zuerst Gott, dann Mensch und zuletzt Natur und Tierwelt ist das verbrecherischste Verdikt der gesamten Menschheitsgeschichte!
Dem Mitgeschöpf, dem Tier, wird dadurch jedes wirkliche Recht, jedes soziale Empfinden, jede Art von Psyche und nicht von ungefähr vom Christentum auch noch die Seele – als exklusives Geschenk des übermenschlichen Schöpfergottes – abgesprochen. Dieser anthropozentrische Irrsinn kulminiert darin, dass ein vermeintliches Leben nach dem Tod nur den Menschen erwartet, dank seiner unsterblichen Seele; allein der Beweis für diese Behauptung fehlt, konnte und kann nicht erbracht werden.
Wird diese Vorstellung noch durch das Argument des alleinigen Besitzes von Vernunft beim Menschen ergänzt, wird die Unlogik und Haltlosigkeit dieser Denkweise offenbar.
Weder ist in einer Gesamtbetrachtung der Weltgeschichte bei Kriegsgeschehen, Bevölkerungswachstum, Umweltvernichtung und ungehemmter Ressourcenplünderung  überragende Begabung für das seltene Gut der Vernunft feststellbar, noch ist sie bei Einzelbetrachtung ausgewählter Individuen als grundangelegt erkennbar. Senile, schwere Fälle geistiger Behinderung und Demente rangieren oftmals in ihrer Vernunft auf einem Niveau weit hinter hoch entwickelten Säugetieren; auch der nicht explizit betrachtete Teil des homo sapiens zeigt Vernunft meist, wenn überhaupt, nur partiell und/oder temporär.
Es ist somit allein der Wahn des Menschen, seine paranoide Hybris, sich als etwas Höheres, Bedeutenderes, Lebenswerteres zu halten; lebensverachtende Theologie hat ihm dieses Empfinden eingeimpft, es ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen. "Die Menschen tun das Böse nie so vollständig und begeistert, wie wenn sie es aus religiöser Überzeugung tun" formuliert Umberto Eco diesen Fakt.

Das geschilderte religiöse Fundament versuchen die Glaubenskonstrukteure zusätzlich mit der irrwitzigen Behauptung zu zementieren, der Mensch sei das letztendliche Ziel der Schöpfung, der Welt, der eine große Sinn des Universums. Diese hybride Vorstellung wurde von der Philosophie immer wieder ad absurdum geführt, ist sie doch als der eine große Unsinn im Universum entlarvt. Kant sah die Kernfragen der Metaphysik, nämlich die Frage nach dem Weltanfang, nach dem Sinn des Weltganzen und der Unsterblichkeit der Seele mit der Vernunft und Logik als unbeantwortbar, als nicht verifizierbar, an.

Der christlich geprägte metaphysische Rahmen, der das vollständig anthropozentrisch geprägte Weltverständnis nicht nur der westlichen Hemisphäre bildet, wird somit zusammenfassend von folgenden Säulen getragen:

• Die Hierarchie aller Existenz beginnt mit Gott, besitzt als Mittelbau den Mensch und dieser ist wiederum dem Leben der gesamten Natur übergeordnet, das dem Menschen zu seinem Nutzen zur Verfügung gestellt wurde. Der angebliche Gottesbefehl hierzu lautet:
1Und Gott segnete Noah und seine Söhne und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt die Erde.
2Furcht und Schrecken vor euch sei über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.
3Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich's euch alles gegeben. (Gen 9, 1-3)

• Der Mensch ist das Ebenbild Gottes.

• Nur der Mensch besitzt eine unsterbliche Seele und kann ewiges Leben erhoffen.

• Nur dem Menschen ist tiefgreifende Begabung zur Vernunft gegeben.

• Der Mensch ist die Krone der Schöpfung, ihr letztendliches Ziel und ihm ist eine Würde immanent, die vorrangig vor jeder anderen Lebensform steht.

Vor dem Hintergrund dieser metaphysischen Grundaxiome ist das heutig gültige, profane, weltliche Denkmuster zu betrachten, welches als Transformator der metaphysischen Vorgaben auf das tägliche Leben wirkt. Sigmund Freud beschreibt das Gesagte in folgenden Zeilen: "Eine besondere Bedeutung beansprucht der Fall, dass eine größere Anzahl von Menschen gemeinsam den Versuch unternimmt, sich Glücksversicherung und Leidensschutz durch wahnhafte Umbildung der Wirklichkeit zu schaffen. Als solchen Massenwahn müssen wir auch die Religionen der Menschheit kennzeichnen. Den Wahn erkennt natürlich niemals, wer ihn selbst noch teilt".

Der Kapitalismus mit seinen exzessiven Auswirkungen wird getragen von einer rein wirtschaftlich orientierten Scheindemokratie – mit zunehmend deutlichen Tendenzen zur Oligarchie und Ochlokratie -, was als Konsequenz zu exorbitantem Tiermissbrauch, Tierausbeutung und Massenvernichtung allen nicht-menschlichen Lebens führt.
 
Ein weltweiter Speziesismus, ein Artenrassismus ohnegleichen, ein Vernichtungsfeldzug, der alles bisher Dagewesene an Verbrechen, Gemetzel und Ausbeutung der Tierwelt in der Geschichte um Größenordnungen hinter sich lässt, hat seine moralische Rechtfertigung durch archaische religiöse Vorstellungen erhalten.
Das Gleichheitsprinzip und Selbstverwirklichungsrecht, für die menschliche Spezies durch Menschenrechte, Religionsfreiheit und humanistische Ideale repräsentiert, wird nicht-menschlichen Lebensformen strikt verweigert. "Seit Darwin sollten wir nämlich wissen, dass es biologisch und psychologisch zwischen Menschen und Tieren keinen prinzipiellen, sondern lediglich einen graduellen Unterschied gibt. Wenn wir auf dieser Grundlage das fundamentalste moralische Prinzip, das Gleichheitsprinzip, anwenden, ergibt sich der richtige Umgang mit Tieren fast automatisch: Wir schauen, welche Interessen Tiere haben und nehmen diese Interessen dann gleich ernst, wie wir vergleichbare menschliche Interessen ernst nehmen. Zweierlei wird augenblicklich klar: Wir treten das fundamentale moralische Gleichheitsprinzip mit Füßen. Und wir verüben unvorstellbare Verbrechen an Tieren" fasst Kaplan diesen Tatbestand zusammen.

Im Zusammenwirken zwischen Politik und christlicher Ideologie ist ein Weltbild entstanden, das zu einer Verwahrlosung des sittlich-moralischen Empfindens und insbesondere des Rechtsbewusstseins geführt hat; angesichts der maßlosen Verbrechen muss von einer totalitären Metaphysik gesprochen werden.

Es hat eine Vergesellschaftung des Grauens, des Unrechts stattgefunden, das zwischenzeitlich ohne weitere Hinterfragung als Recht und rechtens verinnerlicht wurde, da Staat und Kirche die klare Botschaft aussenden: "Tiere sind nicht wichtig, ihr könnt mit Tieren weiterhin so verfahren wie bisher" und Kaplan fährt fort: "Die Schuld der Kirchen am Elend der Tiere ist also eine zweifache: Weltanschaulich liefern sie die Grundlage für die Verbrechen an Tieren. Und politisch schweigen sie zu den Verbrechen an Tieren. Wer aber Verbrechen verschweigt, macht sich mitschuldig an diesen Verbrechen".

Die Mordmaschinerie, industriell perfektioniert, bürokratisch verwaltet, logistisch bis auf den letzten Bauernhof durchgeplant, gesetzlich geregelt, ja gesetzlich und kirchlich gewollt, ermöglicht es dem Normalbürger ein reines Gewissen zu behalten. Er sieht sich frei von Schuld, frei von Verantwortung, er kann nach außen wie nach innen, sich selbst gegenüber, widerspruchsfrei handeln. Die Glaubensbereitschaft an die gemeinsamen, deckungsgleichen Botschaften von Religion und Staat machen ihn zum Erfüllungsgehilfen eines entsetzlich blutigen, grausamen Weltbildes, liefern ihm die Rechtfertigung, die Moral und Ethik für eine Unkultur der Vernichtung. Der Metzger, der Pelzhändler, der Jäger, jeder Tierausbeuter schlechthin, unterliegt somit keiner Ächtung, ist gesellschaftlich integriert, gilt als Normalbürger, ist angesehen, wird für notwendig und wichtig gehalten. Ausbeutung, Tiermord und Massenhinrichtungen von Tieren sind konform mit dem Wollen des Volkes, sind in seiner Mitte verankert, ein Umdenken scheint ausgeschlossen.
Haben sich Tierausbeutung und Tiermord gar durch eine langjährige, oftmals Jahrhunderte alte Tradition verfestigt und sind in volkstümliche Veranstaltungen, genannt seien nur Stierkampf und Zirkus, oder - im schlimmsten Fall - in religiöse Feste und Bräuche  integriert, sind sie im Volksbewusstsein verfestigt und nahezu irreversibel zementiert.
 
"Die geringe Sittlichkeit der Staaten nach außen, die sich nach innen als Wächter der sittlichen Normen gebärden und die Brutalität im Benehmen der einzelnen, denen man als Teilnehmer der höchsten menschlichen Kultur ähnliches nicht zugetraut hat",  begründet die tiefgreifende Enttäuschung gegen Staat und Religion.
 
Diese Worte von Freud in einer Abhandlung über Krieg und Tod beschreiben treffsicher das Empfinden einer Minorität von Menschen gegenüber einer perfektionierten Vernichtungsmaschinerie für die Tierwelt. Die Mordmaschine arbeitet pausenlos gegen ihre frei lebenden, bestenfalls durch sogenannten Artenschutz gesicherten, wie auch zur Gefangenschaft gezwungenen und andauernd agrarindustriell reproduzierten Vertreter.

Das Problem ist, dass die Menschheit die Tierwelt in all ihren Formen, in ihren Arten ausdrücklich erhalten will, um den Status des permanenten Vernichtungskrieges, eine Art Fließgleichgewicht des Schreckens, gegen sie aufrecht erhalten und weiter führen zu können. Dieses Wollen resultiert im Kern aber aus den rein ökonomischen Interessen der Touristik-, Waffen- und Tiervermarktungsindustrie mit der hintergründigen Absicht, dass nachkommende Generationen am kostenlosen Selbstbedienungsladen Natur dauerhaft weiter verdienen und sich delektieren können.
Im modernen Sprachgebrauch - als ethisches Postulat vorgeschoben - nennt man es Artenschutz, wobei  Artenschützer in der Regel Leute sind, man denke nur an Betreiber von Tierparks und Zoos, die der Ethik und dem Tierschutz meist gleichgültig gegenüber stehen; Nutztiere, deren Art nicht bedroht ist, sind ihnen normalerweise nicht erwähnenswert.
Tiervernichtungskrieg als organisierte Unterhaltungs-Industrie der kanalisierten Menschenaggression, mit gemeinnützig staatlicher Förderung und gewollter Ablenkungswirkung für die Massen, rundet das Bild. Die Formen der Ausbeutung in diesem Sektor reichen vom Reitsport und Hundeschlittenrennen bis zu den Tötungssportarten des Angelsports, der Sportfischerei und des Stierkampf als kulturelles Erbe.

In der Massenmenschenwelt, in einer Welt der Menschenmassen mit ihren genormten Denkkategorien, werden freie Geister, denen diese Zusammenhänge, Abläufe und Konsequenzen bekannt und bewusst sind, bestenfalls ignoriert, zunehmend aber nicht mehr verstanden.
Die gesellschaftlich akzeptierte Massenmeinung des Geistesproletariats ist die gültige, ist die herrschende, verbindliche Meinung. Denken und Handeln barbarisiert und nivelliert sich, proportional zum Anwachsen der Menschenmassen, auf einer Stufe niedrigsten Niveaus – des kleinsten gemeinsamen intellektuellen Nenners.
Die fehlende Sicht auf alle Lebensformen zeigt, dass eine Höherentwicklung im Denken und Erkennen nicht stattfindet, würde doch eine Höherentwicklung das Wollen bedeuten, das Leid aller Lebewesen zu mildern, nicht hingegen nur die Milderung des Leides beim Menschen, erkauft mit unsäglicher Verstärkung des Leides der übrigen Lebewesen.

Die erfolgreiche Umsetzung dieser Geisteshaltung und Grundhaltung wird zusätzlich durch eine Quelle gespeist, die Sigmund Freud in seiner Schrift vom „Unbehagen in der Kultur“ ausgeführt hat; R. Safranski hat nachstehende Kernpunkte subsumiert.

Der Mensch als Individuum unterliegt einer dreifachen Bedrohung, nämlich dem Verfall des eigenen Körpers, Angriffen der Außenwelt und Gefahren im weitesten Sinne aus der Beziehung zu anderen Menschen.
Um sich gegen diese Gefahren zu wappnen, hat er im Laufe seiner Geschichte kulturelle Lebensweisen entwickelt, die ihm Schutz gewähren, die ihm Sicherheit verschaffen. Naturbeherrschung, Bekämpfung von Krankheiten, leben in sicherer Gemeinschaft, Bändigung von Kriegsgefahren sowie lebenserleichternde Annehmlichkeiten wie Heizung, Auto, Telefon etc., definieren die Eckpunkte des kulturellen Rahmens.

Freud stellt fest, dass diese Kultur wiederum selbst Quelle von Leid werden kann und kein dauerhaftes Glück mit sich bringt, welches nur im Inneren des Individuums gefunden werden kann. Das Innere des Menschen wird jedoch von einem permanenten Kampf zwischen Eros und Thanatos, zwischen Sexuallust und Todestrieb bzw. Destruktionstrieb, bewegt.
In jeder fortgeschrittenen Kultur muss jedoch bei beiden Trieben auf eine hemmungslose, ungehinderte Triebbefriedigung verzichtet werden, d.h. sowohl Sexualtrieb als auch Destruktionstrieb können nur partiell und zum geringen Teil ausgelebt werden. Da beide Triebe aber immanenter Bestandteil des Individuums sind, kann kein Trieb ausgeschaltet und zum Verschwinden gebracht werden, muss also, um ausgelebt werden zu können, sublimiert werden. Speziell beim Destruktionstrieb ist diese Umlenkung, dieses Verschieben in andere Befriedigungskanäle durch bestimmte Regularien gesellschaftsfähig geworden.
Feindbilder, ethnische Minderheiten, Randgruppen und zunehmend auch dem herkömmlichen Weltbild widersprechende ethische Minderheiten dienen als Ventil, auf welche sich Hass und Ablehnung konzentrieren können, sollen, dürfen und müssen.
 
Die Aggressionsenergien des Destruktionstriebes liegen somit im ständigen Kampf mit dem Gewissen, das eine Verletzung gesellschaftlicher Normen aus Angst vor Ächtung in Schranken hält. Hieraus resultiert eine dauerhafte Selbstqual im Individuum, da die vom Gewissen behinderten Triebe, zumindest zeitweise, nach Entladung suchen.
Gesucht ist somit das gesellschaftliche, vom Weltbild der herrschenden Kultur abgedeckte Feld, auf dem die Triebentladung stattfinden kann und darf, ist doch, wie Freud feststellt, "das Glücksgefühl bei Befriedigung einer wilden, vom Ich ungebändigten Triebregung unvergleichlich intensiver als das bei Sättigung eines gezähmten Triebes. Die Unwiderstehlichkeit perverser Impulse, vielleicht der Anreiz des verbotenen überhaupt, findet hier eine ökonomische Erklärung".
Waren es in der Geschichte die regelmäßig stattfindende Kriege, die zur Abarbeitung des Destruktionstriebes dienten, sind es heute Autobahnrasereien, in seltenen Fällen Wirtshaushändel, in regelmäßigen Fällen aber Jagdgesellschaften.

Die Jagd ist das heutige Ersatzmittel kriegerischer Auseinandersetzungen, die geförderte, tolerierte und anerkannte Form der Triebentladung, die staatlich gewollte, kirchlich abgesegnete Kanalisierung des individuellen Destruktionstriebes. Die Jagd als Triebentladung, das Gefühl über ein anderes Wesen total verfügen zu können, das sadistische Auskosten der Ohnmacht der Opfer, ist in Friedenszeiten die letzte Möglichkeit, als Bürger ungestraft morden zu dürfen.

3.11.2011   Dr. Gunter Bleibohm

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